Laura Freudenthaler "Geistergeschichte"

Der Roman “Geistergeschichte“ erzählt von der Entfremdung eines Ehepaares.

Anne und Thomas leben seit vielen Jahren zusammen, sie unterrichtet Klavier an einer Musikschule, er organisiert und betreut diverse Festivals. Zwischen ihnen ist es allmählich leer geworden, sie sind einander fremd.

Anne verliert immer mehr Schüler, sodass sie beschließt, ein Lehrbuch zu schreiben und sich dafür ein Jahr frei zu nehmen. Durch den Wegfall der Unterrichtsstunden verliert Anne die wichtigste Möglichkeit, ihre Zeit zu strukturieren, und sie reagiert mit tiefer Resignation. Die Fremdheit zwischen ihr und Thomas, ihre Einsamkeit und das Gefühl der Sinnlosigkeit belasten sie schwer.

In ihr entsteht die fixe Idee, dass Thomas sie mit einer anderen Frau betrügt, dass er diese Frau (oder ist es ein Mädchen?) sogar in die eheliche Wohnung mitnimmt, und sie sucht in Thomas Taschen nach Belegen für seinen Verrat.

Die Autorin beschreibt auf feinsinnige und doch eindringliche Art die Übergänge von Ahnungen zu Ängsten und von Verunsicherungen zu Wahnvorstellungen, die Anne erleidet. Das Gespenstische wird überall für sie sichtbar, so zum Beispiel wenn Gegenstände ohne Grund zu Boden fallen.

Thomas zeigt sich Anne gegenüber hilfsbereit, er versorgt sie finanziell, aber es kommt zu keinerlei liebevollem Kontakt oder zu einer - vielleicht klärenden - Auseinandersetzung.

Laura Freudenthaler erzählt psychologisch anschaulich und mit viel Verständnis. Sie erzählt in kurzen Abschnitten, ihre Sprache ist auf Wesentliches reduziert. Es gibt immer wieder kleine Momente der Hoffnung und es ist nicht ausgeschlossen, dass Thomas und Anne sich einander wieder annähern und einen gemeinsamen Weg finden.

Laura Freudenthalers „Geistergeschichte“ ist ein spannendes Buch, es zeigt dramatisch, welche Folgen entstehen, wenn in unseren Beziehungen Empathie, Zuneigung, Vertrauen und der Mut zur Auseinandersetzung verloren gehen.

Lesenswert und bereichernd!

Prof. Münzer-Jordan

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