Han Kang "Deine kalten Hände"

Die Schriftstellerin H. begegnet immer wieder den Werken des Bildhauers Jang Unhyong. Diese faszinieren sie und schließlich trifft sie bei einer Theaterpremiere den Bildhauer selbst. Kurz nach dieser Begegnung verschwindet der Bildhauer spurlos. Er hat lediglich ein Manuskript hinterlassen, welches seine Schwester, die ihn verzweifelt sucht, der Schriftstellerin übermittelt und sie bittet, es zu lesen. Sie erhofft sich, dass die Schriftstellerin irgendeinen Hinweis auf den Verbleib von Jang Unhyong findet. Soweit die Rahmenhandlung, die von H. erzählt wird.

Den größten Teil des Buches nimmt das Manuskript mit der Lebensgeschichte des Bildhauers ein. Sein Vater war ein kalter, strenger Patriarch, die Mutter eine lächelnde Maske, nach außen waren seine Eltern ein glückliches Paar. Er selbst hat unter dieser Kälte sehr gelitten, war voll Angst und Unsicherheit. Aber er lernt sich zu verstellen, sich unauffällig und angepasst zu geben. Insgeheim fasziniert ihn alles Hässliche:

Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen ist das Thema seiner bildhauerischen Arbeit. Er fertigt Gipsabdrücke von Körperteilen an, deren Oberfläche perfekt, deren Inneres aber hohl ist. Die leere Hülle wird zur Metapher seines Lebens.

Es sind vor allem Frauenkörper, die er in Gips formt - so wie L., eine Studentin, die stark übergewichtig ist und unter Fressattacken leidet. An ihr faszinieren ihn ihre schönen, zarten Hände, die für ihn das fragile Wesen dieser Frau ausdrücken. H., eine Innenarchitektin, ist eine wunderschöne Frau. An ihr faszinieren ihn ihre verborgenen Geheimnisse und Komplexe, die auf eine angeborene Behinderung zurückzuführen sind.

Im Leben beider Frauen gibt es traumatische Erlebnisse, die sie auf verschiedene Weise zu verarbeiten suchen, nämlich mit Fresssucht und Perfektion.

Mit beiden Frauen verbindet Jang Unhyong nicht die Liebe, sondern die Einsamkeit der Außenseiter, eine unstillbare Sehnsucht nach Nähe, Wärme und Wahrheit. Sein Ziel ist vielmehr, die verletzliche Hülle der Frauen abzuziehen, um in ihr Inneres schauen zu können.

Ein faszinierendes Buch mit einem ungewöhnlichen Thema.

Lesenswert!

Prof. Münzer-Jordan

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