Norbert Gstrein "Der zweite Jakob"

Norbert Gstrein ist ein vielfach ausgezeichneter Tiroler Schriftsteller, der 2021 seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hat. Sein vorletzter Roman „Als ich jung war“ gewann den Österreichischen Buchpreis.

In seinem jüngsten Roman „Der zweite Jakob“ erzählt der Autor aus der Perspektive des österreichischen Schauspielers Jakob Thurner dessen Leben.

Jakob wird bald sechzig, große Feiern stehen bevor, seine Heimatgemeinde in Tirol will sein Standbild errichten, ein junger Mann soll seine offizielle Biographie verfassen und das alles erfüllt Jakob mit Unbehagen. Gezwungenermaßen muss er sich mit seiner Vergangenheit und sich selbst befassen und auseinandersetzen.

Jakob Thurner ist ein mittelmäßiger Schauspieler, der vor allem Bösewichte und Frauenmörder verkörpert und eine gescheiterte Beziehung hinter sich hat, aus der seine Tochter Luzie stammt. Besagte Luzie stellt ihm kurz vor seinem Jubiläum die Frage: „Was ist das Schlimmste, was du jemals getan hast.“ Diese schlimmste Tat, die er daraufhin immer wieder schildert, hat vor Jahrzehnten bei Dreharbeiten an der Grenze zwischen Amerika und Mexiko stattgefunden. Damals hat eine seiner Kolleginnen eine Frau überfahren und beide, Jakob und sie, haben keinerlei Hilfe geleistet.

Im Laufe von Jakobs Lebenserzählungen gerät er zusehends in Schwierigkeiten, das positive Bild, das er anfangs von sich vermittelt, beginnt abzubröckeln. Seine Tochter, die in ihrer Jugend autistische Züge hatte und zu der er ein eigentümliches Verhältnis pflegt, das zwischen Überbesorgtheit und Verantwortungslosigkeit schwankt, begeht einen Selbstmordversuch, seine Freunde wenden sich von ihm ab und er selbst muss sich eingestehen, dass er alkoholabhängig und krank ist.

Schließlich macht er sich mit Luzie auf den Weg in seine Tiroler Heimat, in der er anlässlich seines Geburtstages geehrt werden soll. In diesem Schlussabschnitt erfasst der Leser das ganze Ausmaß von Jakobs Verrat an seiner Familie, vor allem an seinem Onkel Jakob, nach dem er auch der zweite Jakob genannt wird.

Norbert Gstreins Roman ist interessant zu lesen, da sich das Ausmaß von Jakobs Schuld und Selbsttäuschungen dem Leser erst gleichzeitig mit der Erkenntnis des Erzählers erschließt. Auch gelingt es Gstrein, Jakob nicht zu verurteilen oder ihn unsympathisch werden zu lassen.

Ein Buch, das zum Nachdenken über das eigene Leben anregt, auch darüber, ob die Rollen, die wir verkörpern, mehr über uns aussagen, als wir wahrhaben wollen.

Lesenswert!

Prof. Münzer-Jordan

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