Barbara Frischmuth "Verschüttete Milch"

In “Verschüttete Milch“ erzählt Barbara Frischmuth über ihre vermutlich eigene Kindheit in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Der Ausgangspunkt sind alte Fotos von ihr und ihrer Familie aus dieser Zeit, die sich in ihrer Erinnerung zu Szenen und Geschichten entwickeln.

Barbara Frischmuth beschreibt die komplexe, komplizierte Struktur der Kindheitsfamilie von Juli, die, bevor sie in die Schule geht, nur als „die Kleine“ bezeichnet wird.

Die Kleine, später Juli, hat eine besondere Beziehung zu Tieren und findet bei diesen Halt. Juli ist eine neugierige, wissbegierige Schülerin, sie will lesen und schreiben lernen. Ihr Interesse am Fremden und am Erzählen von Geschichten sind gleichfalls Halt und Stütze für sie.

Juli lebt in einer Kriegs- und Nachkriegswelt, in der Kindern Märchen und Lügen erzählt werden. Sie muss sich ihren eigenen Reim auf die Geschehnisse machen, weil ihr diese sonst niemand erklärt.

Die Erzählung der Kindheit beginnend mit der Kleinen, zu Juli, bis zu Juliane besteht aus vielen Miniaturgeschichten, die ein Bild der Entwicklung von Juliane geben. Der Erinnerungsprozess kommt immer wieder durch das Betrachten der alten Fotos in Gang.

Die verschüttete Milch steht für die vergessenen oder verdrängten Erinnerungen.

Eine Stärke des Romans ist, dass neben der Erzählung über die Kleine – Juli – Juliane auch das Gesellschaftliche und Politische dieser Zeit zur Sprache kommt. Im Dorf sitzen „Heil und Unheil am Tisch zur Sommerfrische“. Da gibt es die Einheimischen, später die aus der Stadt Evakuierten, einquartierte Rumänen und Ungarn, zuletzt amerikanische Besatzungssoldaten. Es gibt auf Almen versteckte Ex-Nazi-Bonzen und viele, die der Krieg angeschwemmt hat.

Juliane kommt in eine Klosterschule mit Internat, weil sie dort eine höhere Schule besuchen kann. Mit Julianes Entscheidung, nicht den ihr von ihrer Familie vorgezeichneten Weg, sondern ihren eigenen zu gehen, endet der Roman.

Interessant und lesenswert.

Prof. Münzer-Jordan

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